Schulname

Warum wurde Marie Durand als Namensgeberin für unsere Schule gewählt?

Der nachfolgende Beitrag ist das Ergebnis einer Hausarbeit im Schuljahr 2014/15 von Medea-Celina Caballero Scheffer (Klasse 8c)

A Einleitung
B Hauptteil

  1. Die Hugenotten in Frankreich
  2. Bad Karlshafen als Zufluchtsort
  3. Marie Durand
  4. Unsere Schule

C Zusammenfassung
D Literatur-/Quellenverzeichnis

A Einleitung

Viele Schulen in unserer Region schmücken sich mit den Namen prominenter Persönlichkeiten. Den Namen Albert Schweitzers tragen die ASS in Hofgeismar und die ASS in Kassel. Politiker, Wissenschaftler, Dichter und Denker sind beliebte Namensgeber: Gustav-Heinemann-Schule, Freiherr-vom-Stein-Schule, Schiller-Gymnasium etc. Mit den Namen dieser „Paten“ kann fast jeder sofort etwas anfangen.

Mit dem Namen Marie Durand — ich muss es gestehen — konnte ich zunächst gar nichts anfangen. So wie mir ging es den meisten meiner Mitschüler.
Mit Beginn der 5. Klasse bekamen wir im Fach GL dann Informationen über Marie Durand und unsere Schule. Ich habe diese durchaus gelernt, so richtig einordnen konnte ich sie zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.
Heute, fast vier Jahre später, fühle ich mich gewappnet, mich etwas intensiver mit der Frage auseinanderzusetzen, warum Marie Durand als Namensgeberin für unsere Schule gewählt wurde.

B Hauptteil

Es geht mir nicht darum festzustellen, welche Personen sich wann und mit welcher offiziellen Begründung für Marie Durand als Namensgeberin entschieden haben. Ich möchte mich vielmehr der Person Marie Durand auf meine eigene Weise nähern. Welche ihrer Charaktereigenschaften machen sie zum Vorbild? Inwieweit stimmen diese mit den Lernzielen unserer Schule überein? Welche Rolle spielt der Schulstandort? Bad Karlshafen wird auch als „Hugenottenstadt“ bezeichnet. Marie Durand wird als Hugenottin verfolgt und eingekerkert. Deshalb muss die Situation der Protestanten in Frankreich beleuchtet werden.

1) Die Hugenotten in Frankreich

Die Protestanten, die in Frankreich Hugenotten genannt werden, haben im streng katholischen Frankreich von Beginn an einen schweren Stand.Die französischen Herrscher sind katholisch und die Katholische Kirche setzt alles daran, zu verhindern, dass die Hugenotten an Einfluss gewinnen.

In insgesamt acht Hugenottenkriegen geht es sowohl um Glaubensfreiheit als auch um politische Macht. Die Hugenotten erleiden in den ersten drei Kriegen schwere Niederlagen und zahlen 1572 in der sogenannten Bartolomäusnacht einen hohen Blutzoll. Die Bartolomäusnacht, die auch „Pariser Bluthochzeit“ genannt wird, ist die Nacht vom 23. zum 24.08.1572. Auf Geheiß der Königinmutter Katharina von Medici werden in dieser Nacht in Paris etwa 2000, in der Provinz anschließend 10000 bis 20000 Hugenotten ermordet (Vgl.: BERTELSMANN UNIVERSAL LEXIKON, BLV, Gütersloh 1992).
Zur nationalen Aussöhnung — so hatte die Regentin Katharina von Medici es verbreiten lassen — sollte ihre Tochter Margarete am 23. August 1572 den König Heinrich von Navarra heiraten, der auf Seiten der Hugenotten stand (Vgl.: 2000 Jahre Weltgeschichte, Menschen•Epochen•Kulturen, Serges Medien, Köln 1999 ).

Eine solche Heimtücke und Grausamkeit stößt selbst bei Katholiken auf Ablehnung. Nach und nach erlangen die Hugenotten mehr politische und religiöse Freiheiten. Im Edikt von Nantes (1598) gewährt Heinrich IV. ihnen freie Religionsausübung und eine politische Sonderstellung. Es folgen ein paar Jahrzehnte eines relativ friedlichen Zusammenlebens mit den Katholiken.

Diese friedliche Koexistenz findet ein jähes Ende, als Ludwig XIV. das Edikt von Nantes 1685 wieder aufhebt. Damit entfallen Glaubensfreiheit und Schutzbestimmungen für die französischen Protestanten. Die Hugenottenkriege werden fortgesetzt, und es beginnt eine gnadenlose Verfolgung der Hugenotten.
In Südfrankreich setzen sich wenige Jahre vor der Geburt Marie Durands die Protestanten mit Waffengewalt gegen die Verfolgung zur Wehr. Im sogen. Kamisardenaufstand (1702-1710) unterliegen sie jedoch.

Erst am Ende des 18. Jahrhunderts, am 17.11.1787, erlässt König Ludwig XVI. das „Toleranzedikt“, das allen Nicht-Katholiken zivile Rechte zusichert.
Und erst im Zuge der Französischen Revolution erhalten alle Franzosen das Recht, ihre Religion öffentlich und frei zu leben.

Im Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.08.1789 heißt es:
„Niemand darf wegen seiner Überzeugungen, auch nicht der religiösen, behelligt werden, solange deren Bekundung nicht die öffentliche Ordnung stört.“ (Zitiert nach: Eberhard Gresch, Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung, Leipzig 2009, S. 181).
Es ist tragisch: Elf Jahre nach ihrem Tod wird das endlich Wirklichkeit, wofür Marie Durand ein Leben lang vergeblich gekämpft und gelitten hat.

2) Bad Karlshafen als Zufluchtsstätte für Hugenotten

Landgraf Carl zu Hessen gründet Bad Karlshafen 1699 an der Mündung der Diemel in die Weser. Es ist eine im schlichten bürgerlichen Barock erbaute Planstadt, die nach einer alten Fliehburg im Reinhardswald zunächst den Namen Sieburg erhält.
1717 wird sie zu Ehren ihres Gründers jedoch in Carlshafen umgenannt.
Marie Durand ist zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt.
Die ersten Bewohner sind Hugenotten! Das sind Menschen, die aufgrund ihres protestantischen Glaubens in Frankreich verfolgt werden.
Unter diesen Flüchtlingen sind auch Hugenotten, die aus der Region stammen, in der Marie Durand gerade aufwächst. Es ist also keine unmögliche und deshalb bemerkenswerte Vorstellung: Auch Marie Durand hätte in Carlshafen Zuflucht finden können. Unter den Flüchtlingen sind qualifizierte Fachkräfte, die Handwerksberufe mitbringen, die bis dahin in Deutschland unbekannt sind (z. B. Handschuh-/Hutmacher).
Es ist ein hugenottischer Apotheker namens Jacques Galland, der 1730 die Solequellen entdeckt, die für das heutige Bad Karlshafen noch immer von Bedeutung sind. 1980 wird das Deutsche Hugenotten-Museum in einer ehemaligen Tabakfabrik eingeweiht.

3) Marie Durand

Sie wird 1711 im südfranzösischen Le-Bouchet-de-Pranles in der Nähe der Stadt Privas als das jüngere von zwei Kindern der Hugenotten Etienne und Claudine Durand geboren. Die Geburt fällt in eine Epoche, in der die Hugenotten gnadenlos verfolgt werden. Als Marie acht Jahre ist, wird ihre Mutter verhaftet. Der Vater kann untertauchen, der elf Jahre ältere Bruder Pierre flieht in die Schweiz.

Die Achtjährige steht allein da und wird von Nachbarn aufgenommen. Drei Jahre später stirbt ihre Mutter im Gefängnis.
Mit neunzehn Jahren heiratet Marie auf Empfehlung ihres Vaters einen Freund der Familie. Nach nur wenigen Wochen Ehe werden die jungen Eheleute jedoch verhaftet und sehen sich nie wieder. Marie Durand wird in das Frauengefängnis bei Aigues-Mortes eingesperrt. Sie verbringt unter menschenunwürdigen Haftbedingungen 38 Jahre im dortigen Gefängnisturm Tour de Constance („Turm der Standhaftigkeit“). Erst 1768, mit 57 Jahren, wird sie freigelassen und kehrt in ihren Heimatort zurück. Nach nur acht Jahren in Freiheit stirbt sie 1776 im Alter von 65 Jahren.
Marie Durand hat an ihrem Glauben festgehalten, obwohl ein Abschwören zur Freilassung geführt hätte! Sie sorgt sich um das Wohlergehen ihrer Mitgefangenen und wird für diese zu einer Art „Seelsorgerin“. Sie spendet Trost, macht Mut, gibt Kraft, lässt Hilfe zuteil werden und solidarisiert sich mit den zum Teil bis aufs Skelett abgemagerten Frauen. Sie steht für Hoffnung, Menschlichkeit und Toleranz in einem unmenschlichen Umfeld. Sie ist damals wie heute ein Vorbild!

4) Unsere Schule

Sie ist eine Integrierte Gesamtschule, die möglichst jeden Schüler mitnehmen und im Sinne Marie Durands gemeinsam Wege finden und gehen will. Wie diese ist sie frei von jedem elitären Anspruch. Schwache Schüler werden nicht ausgegrenzt, sondern nach ihren Möglichkeiten gefördert. Solidarität, Toleranz und Menschlichkeit sind Leitprinzipien unserer Schule, so wie sie es auch bei Marie Durand waren. Von mir selbst kann ich sagen, dass ich mich als eine eher introvertierte Person in dem geschützten Rahmen dieser Schule gut entwickeln konnte und mich sehr wohl fühle.

C Zusammenfassung

Aus meiner Sicht wurde Marie Durand gewählt, weil sie eine starke Persönlichkeit war, deren Charaktereigenschaften mit den Lernzielen unserer Schule übereinstimmen. Es ist die besondere Verbindung zwischen Namensgeberin, Schule und Schulstandort, die die Wahl zu einer außergewöhnlichen macht.
In Anlehnung an einen bekannten Ausspruch Kennedys an der Berliner Mauer schließe ich mit dem Satz:

 „Ich bin stolz, sagen zu können: Ich bin eine Schülerin der MDS.“ 

 D Literatur-/Quellenverzeichnis
Homepage http://www.marie-durand-schule.de/index.php/ourschool/schulname.html).
BERTELSMANN UNIVERSAL LEXIKON, BLV, Gütersloh 1992
2000 Jahre Weltgeschichte, Menschen•Epochen•Kulturen, Serges Medien, Köln 1999
Gresch, E. (2009). Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung. Leipzig: Evangelische
Verlagsanstalt.
Bibliothek für Hugenottengeschichte (BFHG) Nr. 04/2013
https://www.google.de
https://de.yahoo.com

Warum Marie-Durand-Schule?

Ein Beitrag unseres ehemaligen Pädagogischen Leiters Helmut Temme

Marie Durand war und ist die glaubhafte und beispielhafte Verkörperung von Widerstand als eines fundamentalen Verhaltens- und Handlungsprinzips im Leben: Widerstand gegen Terror, gegen Einschüchterung, gegen die Knebelung menschlicher Würde, gegen Hass und Vorurteil, gegen den Verrat von Grundüberzeugungen und Gewissen, gegen den Versuch zur Anpassung aus Opportunismus – für Toleranz, Menschlichkeit und Solidarität mit den Schwachen. Ein solches Verhaltens- und Handlungsprinzip sollte auch in unserer Zeit vorrangiges Erziehungsziel der Schule sein.

Auch der geschichtlich regionale Bezug spricht für diesen Namen. Viele Hugenotten unserer Region und des Einzugsgebietes unserer Schule stammen aus dem Languedoc und dem Lebensraum der Marie Durand. Sie war keine gesellschaftlich hochgestellte und somit möglicherweise für heutiges Verständnis „abgehobene“ Persönlichkeit, sondern eine einfache und arme Frau aus dem Volk, ihrem Bild fehlt jeglicher elitärer Akzent.

Wer war Marie Durand ?

Marie Durand war das zweite Kind einer hugenottischen Familie. Sie kam im Jahr 1711 in dem kleinen Weiler Le-Bouchet-de-Pranles im heutigen Departement Ardeche zur Welt. Ihr Geburtsort liegt in der Nähe der Stadt Privas in den nördlichen Cevennen. Ihr Geburtsjahr ist kurz vor dem Todesjahr Ludwig XIV., der mit der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 die Schutzbestimmungen und die Glaubensfreiheit, die sein Vorgänger den französischen Protestanten gewährt hatte, widerrief. Von der nun einsetzenden gnadenlosen Verfolgung der Hugenotten war auch die Familie Durand betroffen. 1719 wird Maries Mutter festgenommen, der Vater kann untertauchen, ihr Bruder flieht in die Schweiz. Die Achtjährige wird von Nachbarn aufgenommen. Als Marie elf Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter in der Festungshaft, wenig später wird ihr Vater, 71jährig, eingekerkert.

1729 kehrt die 18jährige Marie in das völlig verwaiste Elternhaus zurück, wird aber ebenfalls ein Jahr später verhaftet und in der Tour de Constance in Aigues-Mortes (Camargue) festgesetzt. Nach zwei Jahren Haft erfährt sie von der Festnahme und Hinrichtung ihres Bruders Pierre. Im „Turm der Constance“ wird Marie Durand für ihre Mitgefangenen zur Verkörperung und zum Vorbild für Mut, Wahrhaftigkeit und Unbeirrbarkeit des Glaubens und des ungebrochenen Widerstandes, ebenso aber zum Sinnbild des Trostes und der Hilfe für andere. Zahlreiche Möglichkeiten durch Abschwören ihres Glaubens ihr Schicksal zu wandeln und freizukommen, widersteht sie. Das von ihr in den Stein des Festungsturms geritzte „resister“ („Widerstand leisten“) wird zum Leitwort ihres ganzen Lebens und des Lebens der Hugenotten überhaupt.

Nach 38 Jahren Festungshaft, die sie unter den menschenunwürdigsten Bedingungen durchsteht, wird sie mit 57 Jahren entlassen und stirbt acht Jahre später in ihrem Heimatdorf.